Taschenbuch-Lesetipps: Viermal Weltliteratur

Zum Lesen und gerade auch für fruchtbare Diskussionen im Literaturkreis besonders geeignet sind vier bemerkenswerte Taschenbücher jetzt neu erschienen:

 

1) Ayelet Gundar-Goshen: „Wo der Wolf lauert“, Kein & Aber, 15 Euro – Eine junge Kleinfamilie zieht von Israel nach Kalifornien der Sicherheit wegen. Dann stirbt ein Mitschüler des Sohnes. Der Mutter kommen allmählich Zweifel. Hat ihr Sohn etwas damit zu tun. Wie Menschen in einer Familie einander fremd werden können. Kann man seinen Nächsten und seinen Liebsten – kann man sich selber trauen?

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2) Audur Ava Ólafsdóttir: „Miss Island“, Insel, 11 Euro – Island, 69er Jahre: Junge Frau ist sich sicher, sie hat das Zeug zur Schriftstellerin. Sie zieht in die Hauptstadt und trifft auf eine Wand alter weißer Männer. Gegen alle Widerstände will sie ihren Weg machen, denn sie hat es drauf.

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3) Judith Hermann: „Daheim“, Fischer, 13 Euro – Die Erzählerin zieht von der Stadt an die karge Nordseeküste zu den kargen Kpstenmenschen. Sie findet Freunde und kommt mit einem Schweinebauern zusammen. Ein melancholischer Grundton und der Zwiespalt gleichzeitiger Einsamkeit und Gemeinsamsein sind Kennzeichen dieses Romans.

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4) Bernardine Evaristo: „Mädchen, Frau etc.“, btb, 12 Euro – Es wird ein Reigen von zwölf bemerkenswerten schwarzen Frauen erzählt – buchstäblich ohne Punkt und Komma. Dies ergibt einen Flow von sich kreuzenden Schicksälern in London. Es geht um Sehnsüchte, Ängste, Erwartungen, Erfolge und Misserfolge dieser starken Frauen. Das Buch wurde mit dem renommierten Booker Prize geadelt.

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Buchtipp: „Henny & Ponger“, von Nils Mohl

Nach „An die, die wir nicht werden wollen“ jetzt das neueste Werk von Nils Mohl, In diesem Teenager-Roman knallt Henny in Pongers Leben wie von einem anderen Stern. Er soll ihr helfen, wieder zurück in ihr altes Leben zu finden. Doch Henny wird von seltsamen Anzugtypen verfolgt, die viele blöde Fragen stellen.

So beginnt der Roadtrip mit Buick und Wohnwagen bis auf die Nordseeinsel Amrum. Eine tolle Story samt liebenswürdigen Helden erzählt in Nils Mohls außergewöhnlicher Sprache kennzeichnen diesen rasanten Coming-of-Age-Roman.

Nils Mohl:
Henny & Ponger
Mixtvision Verlag, 200 Seiten, 18 Euro

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Buchtipp: „Trottel“, von Jan Faktor

Ist dieser Mensch noch zu retten? Kann es gut gehen, wenn einer ein höchst albernes Buch über den Tod seines eigenen Sohnes zusammenstoppelt? Das Antwortwort ist eindeutig.

Dieses Urteil über sein Werk bietet der Autor Jan Faktor (toller Name – was hätte er damit alles werden können …) neben anderen Vorschlägen seinen Rezensenten im Buchumschlag seines Buches „Trottel“ an [Danke!]. Das skurrile Buch hat es tatsächlich auf die Longlist für den Deutschen Buchpreis geschafft. Warum es sich dabei um einen „Roman“ handeln soll, erschließt sich allerdings nicht. Eher wilde Autofiktion, Memoir, Schelmenstück oder so. Vielleicht soll ja die Betonung des Fiktionalen beleidigte Personenfiguren vom Klagen abhalten.

Der Erzähler schwadroniert über seine erste Begegnung mit Deutschen in seiner Heimatstadt Prag, über seine Liebe zu einer schönschlauen Teutonin, wegen der er in den 70ern ins etwas angenehmere Ostberlin übersiedelt. Dort erlebt er die Prenzlauer Szene zu einer Zeit, als die Männer noch richtige verfilzte Rauschebärte trugen und „echte“ Kommunisten waren, lange bevor die ersten Hipster in die Windeln machten. Und er erzählt von seinem manisch-depressiven Sohn, bis der seinem Leben ein trauriges Ende machte und damit seine Eltern zwang, diese tiefste Krise irgendwie – auch mit Schelmenhumor – zu überleben. Der Papa, Jan Faktor, ergoss diesen Text mit tausenden Details aus dem Leben der Ur-Prenzlauer aufs Papier und quälte den Lektor und die Leser mit zig kuriosen Fußnoten aus Rache für sein Schicksal oder fürs Entertainment?

Ich weiß echt nicht was, aber irgendwie hat das was, denkt sich der ratlos amüsierte Buchhändler.

Jan Faktor:
„Trottel“
Kiepenheuer & Witsch, 241 wilde Seiten, 24 Euro

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Buchtipp: „Freundin bleibst du immer“, von Tomi Obaro

Eine Empfehlung aus dem Team: Das tollste Cover der Saison und pure Lebensleidenschaft: Der Debütroman „Freundin bleibst du immer“ von Tomi Obaro erzählt die Geschichte dreier Freundinnen, Zainab, Enitan und Fumni, die in Nigeria gemeinsam studiert haben. Nach langen Jahren treffen sie sich auf der Hochzeit von Fumnis Tochter Destiny in Lagos, ein Ereignis hart an der Kante zwischen Erinnerung, Leidenschaft und Drama.

Die nigerianische Metropole liefert den farbigen, mitunter drastischen Hintergrund dieser ganz verschiedenen Lebensläufe, die sich hier wieder kreuzen. Die damals und dann sofort wieder miteinander vertrauten Frauen hatten sehr unterschiedliche Herausforderungen zu meistern. Gelingt es ihre Töchter besser, ein selbstbestimmtes Leben zu führen? Großes, farbenfrohes Lesevergnügen, humorvoll und mit Tiefgang.

Tomi Obaro:
„Freundin bleibst du immer“
Aus dem Englischen von Stefanie Ochel
hanserblau, 317 Seiten, 24 Euro

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Buchtipp: „Internat“, von Serhij Zhadan

In der Ukraine ist der Poet, Romanautor und Rock-Musiker Serhij Zhadan ein bunter Hund und ein Idol vor allem vieler Jugendlicher. Er lebt im umkämpften Charkiw, im Osten der Ulraine. Den „Friedenspreis des Deutschen Buchhandels“ hat er in diesem Jahr zuerkannt bekommen. Zu Beginn der Frankfurter Buchmesse im Oktober wird er den Preis hoffentlich entgegennehmen. Wenn er dann kommen kann …

In seinem Roman „Internat“ will die Hauptperson Pascha seinen Neffen aus dem Kinderheim vom anderen Ende der Stadt nach Hause zu holen. Pascha ist Lehrer, stark kurzsichtig und in mehrerlei Hinsicht stark eingeschränkt. Er schlägt sich durch das Kriegsgewirr und muss dann mit dem Jungen den mühseligen Rückweg antreten. Eine sehr poetisch erzählte Geschichte über den Krieg, Erinnerungen, die man wohl nicht mehr loswerden kann und über die Menschlichkeit und das Licht im Dunkel.

Serhij Zhadan: „Internat“
Aus dem Ukrainischen von Juri Durkot und Sabine Stöhr
Roman, Suhrkamp, 300 Seiten, 22 Euro

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Buchtipp: „Die Ewigkeit ist ein guter Ort“ von Tamar Noort

Die angehende Pastorin Elke gerät ins Straucheln. Plötzlich von „Gott-Demenz“ beeinträchtigt, hat sie einen Blackout beim Gebet. Auch andere Fundamente ihres Lebens kommen ins Schwanken. Ist es an der Zeit, neue Wege zu gehen? Bei ihrer Orientierungssuche in Beruf, Partnerschaft und Familie lässt sie kein Fettnäpfchen aus und sogar die Kirche ihres Vaters gerät in Schieflage. Bei ihrer Familie in der norddeutschen Tiefebene scheint sie dem eigentlichen Knackpunkt ihres Lebens einen Schritt näherzukommen.

Für ein Kapitel des jetzt komplett erschienenen Debütromans hatte Tamar Noort den Hamburger Literaturpreis erhalten. Der NDR kürte den Roman im Juli zum „Buch des Monats“. Eine humorvolle Geschichte mit überraschenden Wendungen über eine junge Frau, die an ihren Zweifeln leidet, aber letztlich auch reift.

Tamar Noort: „Die Ewigkeit ist ein guter Ort“
Kindler Verlag
298 Seiten, 22 €

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Buchtipp: „Ich bin Joy“, ein Mutmacher-Buch für Mädchen von Jenny Valentine

Im Mittelpunkt von Jenny Valentines „Ich bin Joy“ steht das zehnjährige Mädchen Joy Applebloom mit ihrer Familie. Auf Sansibar beschließen ihre Weltenbummler-Eltern, mit Joy und ihrer älteren Schwester Claude zum Großvater nach London zu ziehen. Dort ist vieles anders: das Wetter, der Verkehr, vor allem die Schule und überhaupt alles.

Gemeinsam mit ihrem neuen Kumpel Benny will Joy eine alte Eiche auf dem Schulgelände retten. Dabei finden sie einen ungeahnten Verbündeten. Ein sehr gut gelauntes Buch über ein sehr eigensinniges Mädchen, das für ihre Sache kämpft. Das Buch ist der Auftakt einer neuen Trilogie der erfolgreichen Kinderbuchautorin.

Jenny Valentine: „Ich bin Joy“
Aus dem Englischen von Anu Stohner
dtv, 13 Euro, ab 8 Jahre

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Buchtipp: „Treue“ von Hernan Diaz

Vielleicht „the great american novel“? Auf jeden Fall ein ganz besonderes und lesenswertes Buch: „Treue“ von Hernan Diaz, jetzt bei Hanser erschienen. Das Buch spielt in den 20er Jahren in Manhattan. Im Mittelpunkt: Der supererfolgreiche Finanzmagnat Andrew Bevel, dem es sogar in der Krise gelingt, seinen Reichtum weiter zu steigern, und seine Frau Mildred.

Eigentlich besteht der Roman aus vier Büchern: ein Roman über das mysteriöse Ehepaar, die Autobiografie von Andrew Bevel, das Memoir seiner Sekretärin und nachgelassene, teilweise fragmentarische Schriften der Ehefrau Mildred. Es geht um Unternehmertum, den Wert des Geldes, Emanzipation und die Wahrheit. Vielleicht erst seit Trump scheint es es so zu sein: Wer wirklich die Macht hat, hat die Deutungshoheit über die Wahrheit, oder?

Hernan Diaz, in Argentinien geboren und in Europa aufgewachsen, lässt seine (fiktiven) Erzähler ihre jeweilige Sicht dieser US-amerikanischen Story beschreiben. Das Ergebnis ist bemerkenswert vielschichtig, widersprüchlich und schillernd. Wer Auster oder Franzen mag, wird mit „Treue“ ein ganz großes und ganz besonderes Vergnügen erleben.

Hernan Diaz: „Treue“
Aus dem Englischen von Hannes Meyer
Hanser, 416 Seiten, 27 Euro

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Buchtipp: „Vom Komiker zum Präsidenten“ – die neue Selenskyj-Biografie

Ganz frisch in der Buchhandlung: die neue Biografie des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Mit gesunder Distanz beschreibt der Journalist Sergii Rudenko in dieser „politischen Biografie“ den sehr erstaunlichen Wandel eines Komikers und Schauspielers zum „Verteidiger der westlichen Werte“. Die facettenreiche, durchaus auch diskussionswürdige Poltikerkarriere wird vor dem Hintergrund eines eigentlich gespaltenen Landes erzählt, das sich so richtig erst angesichts des russischen Angriffs hinter dieser Persönlichkeit vereint hat. Ein so kenntnisreiches wie gut lesbares Buch für all die, die gerne hinter die Headlines schauen.

Sergii Rudenko:
Selenskyj – eine politische Biografie
Hanser Verlag, 224 Seiten, 24 Euro

Tipp zur Sommerlektüre #2: Ewald Arenz – „Der große Sommer“

In den 70er Jahren: Frieder muss den Sommer über bei dem strengen Großvater und der etwas unkonventionellen Großmutter verbringen, um für die Schule zu lernen. Fürchterlich. Im Freibad begegnet er Beate im flaschengrünen Badeanzug. Es wird der Sommer seines Lebens. Die Ereignisse verändern seine Sicht auf seine Familie und auf sich. Eine atmosphärisch sehr dicht erzählte Coming-of-Age-Geschichte, die sehr lange im Gedächtnis bleibt. Im letzten Jahr wurde der Roman zum Lieblingsbuch der unabhängigen deutschen Buchhändler gewählt.

Ewald Arenz: Der große Sommer
DuMont, 320 Seiten, 12 Euro

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